Klangwunder am Doppelklavier

Der Cellist Pablo Casals hielt Emánuel Moór für ein Genie.

Mit dem Duplex Coupler Grand Piano entwickelte Emánuel Moór ein neues Tasteninstrument, ein Klavier mit Doppeltastatur.

Ein Treffen mit dem berühmten Cellisten Pablo Casals im Frühjahr 1905 brachte die entscheidende Wende in der bereits sehr erfolgreich verlaufenen Musikkarriere des Komponisten und Pianisten Emánuel Moór (1863– 1931). Casals, wie Moór auch Komponist und Dirigent, war von der Musik des Kollegen fasziniert, nachdem dieser ihm am Klavier sein erstes Cello-Konzert vorgespielt hatte. Der Spanier förderte Moór fortan, indem er grosse Musiker wie Fritz Kreisler dazu brachte, dessen Stücke aufzuführen, was wiederum Moór motivierte und ihn weitere Stücke komponieren liess. Für das Trio von Pablo Casals schrieb er ein Konzert, das auf einer Tournee durch die Schweiz allerorts mit Begeisterung aufgenommen wurde. Noch liess nichts darauf schliessen, dass der umjubelte Komponist später als Erfinder ebenso berühmt werden würde.

Künstlerkontakte in Lausanne

Emánuel Moór, vor 160 Jahren in Kecskemét in Österreich-Ungarn geboren, erhielt ersten Unterricht von seinem Vater, dem Opernsänger und Kantor Rafael Moór. Bereits mit 13 Jahren gewann der Junge in Prag an einem Wettbewerb für Orgelmusik die Goldmedaille. Er studierte Komposition bei Anton Bruckner in Wien, wurde 1881 Klavierlehrer am Konservatorium in Szeged. Dort trat er auch als Dirigent auf, veröffentlichte erste Kompositionen und gab Konzerte. 1885 versuchte er sein Glück in Amerika, wo er rasch als Pianist und Dirigent reüssierte und auch als Komponist erfolgreich war. So begleitete er auf einer der Tourneen die Star-Sängerin Lilli Lehmann. 1888 heiratete Emánuel Moór Anita Burke und liess sich mit ihr in England nieder. Sie war vermögend, jahrelang – bis zum Ausbruch des Krieges – residierte Moór in Luxushotels in der Schweiz. Er widmete sich nun ganz dem Komponieren im Stile der Hoch- und Spätromantik, schuf fünf Opern, acht Symphonien, mehrere Sonaten, Konzerte für Cello, Bratsche, Harfe und Klavier sowie ein Requiem. Um dem Puls der musikalischen Entwicklung auf dem europäischen Kontinent näher zu sein, zog er 1901 in die Schweiz. In Lausanne, seinem neuen Wohnsitz, kam er jahrelang mit einigen der bedeutendsten Künstler seiner Zeit in Kontakt, etwa dem Violinisten Henri Marteau, der sich sehr für seine Musik begeisterte und sie in Konzerten häufig spielte. Und Moór begegnete Pablo Casals, der ihn schlicht für ein Genie hielt.

Der Ausbruch des Krieges kappte viele dieser fruchtbaren Verbindungen zu Künstlern, für die Moór Musik geschrieben hatte. Er komponierte kaum noch, schliesslich gar nicht mehr. Zurückgezogen lebte er in seinem Schweizer Haus auf dem Mont Pèlerin und widmete sich einer weiteren Passion: der Malerei (Emánuel Moórs Bruder war der Maler Henrik Moór. Dessen Tochter Anita gründete 2013 die Henrik-und-Emanuel-Moor- Stiftung).

Mit Ende des Krieges nahm Moórs Leben ab 1918 noch einmal eine neue Richtung.

Künstlerischer Geniestreich

Mittlerweile interessierte er sich für die technisch-bauliche Seite der Musikinstrumente, vor allem die des Klaviers. Er strebte danach, Musik noch vielschichtiger klingen zu lassen und den Virtuosen mehr Möglichkeiten für musikalischen Ausdruck an die Hand zu geben. Um eine Lösung für konkrete Herausforderungen beim Spielen – grosse Tonsprünge, die grosse Virtuosität erfordern – zu finden, entwickelte er ein Klavier mit zwei übereinanderliegenden Tastenreihen: das Moór-Klavier. Schon Franz Liszt hatte über eine solche Konstruktion nachgedacht, Moór realisierte sie. Die untere der zwei Tastaturen entspricht der eines normalen Pianos. Die Tasten der oberen Tastatur sind ebenso angeordnet, schlagen aber die Töne eine Oktave höher an. Mit dem Pedal, das ist der Clou, lassen sich diese Klaviaturen auch koppeln, sodass die obere Oktave mitklingt, wenn man auf der unteren Taste einen Ton erzeugt. Somit sind – für diese performative Herausforderung hatte Moór eine Lösung finden wollen – schnelle Oktavpassagen keine grosse Schwierigkeit mehr. Man kann mit einer Hand Akkorde anschlagen, die bis zu zwei Oktaven reichen. Dadurch klingt der Flügel beinahe wie ein Orchester, man kann quasi als Solist vierhändig spielen. Filigrane Stellen lassen sich mit Brillanz darstellen. Eine weitere Neuerung Moórs war es, die weissen Tasten der unteren Tastatur den schwarzen in der Höhe so anzugleichen, dass sich ausdrucksstarke Glissandi spielen lassen. Emánuel Moór hat mit seiner Instrumenten-Erfindung also sowohl technische Erleichterungen als auch klangliche Verbesserungen erreicht. Das von Moór entwickelte «zweimanualige» Flügel-Modell wurde unter anderem von so renommierten Klaviermanufakturen wie Bechstein (1929) und Bösendorfer (1930–1935) gebaut. Steinway fertigte ein einziges Auftragsmodell für Werner von Siemens. Emánuel Moórs zweite Frau, die Pianistin Winifred Christie, die er 1923 heiratete, verschrieb sich musikalisch ganz dem Duplexmanual-Klavier. In den 1920er-Jahren erlebte Moórs Erfindung ihre grosse Zeit. Nicht wenige glaubten, dass dem Douplex Coupler

 

Grand Piano die Klavier-Zukunft gehöre. Auch mit Streichinstrumenten experimentierte der Erfinder, änderte Details der Konstruktion, um klanglich grösseres Volumen zu erreichen. Die Direktion der Berliner Philharmonie orderte gleich eine ganze Serie von Moór-Instrumenten. Aber der grosse Durchbruch blieb aus.

Neues Festival ab 2023

Am 20. Oktober 1931 starb der Musikinnovator, der noch an der Entwicklung des ersten Keyboards mit elektronischer Tonerzeugung beteiligt gewesen war, auf dem Mont Pèlerin, Chardonne. Sein Duplex-Klavier geriet in Vergessenheit. Nicht nur, weil bald nach dem Tod des jüdischen Erfinders der Nationalsozialismus begann. Vielleicht auch, weil man als Klavierspieler für das Duplex-Klavier ein wenig umlernen musste, und die Verbesserungen, die es auszeichnen, mit Komfort-einbussen an anderer Stelle erkauft wurden: Bei gedrücktem Pedal muss jede Taste eine komplexe Mechanik bewegen, das ist auf Dauer durchaus anstrengend. Und vielleicht auch, weil der Visionär Moór seine weltweit einzigartige Idee nicht marktgerecht publik machen und vertreiben konnte.

In den letzten Jahren aber ist das Interesse der Musikwelt an der grossartigen Erfindung des Wahlschweizers wieder deutlich gewachsen. Ein Verdienst des Cellisten David Stromberg. Stromberg stiess bei der Suche nach Literatur für Celli per Zufall auf Emánuel Moórs Musik und seine Innovation. Moór-Klaviere gibt es weltweit nur noch wenige. Der für den Siemens-Gründer gebaute Steinway erklingt mittlerweile in Wisconsin. Ein von Bösendorfer produziertes Modell befindet sich (laut Webseite der Henrik-und-Emanuel-Moor-Stiftung) in den Hurstwood Farm Studios und gehörte einst Winifred Christie. Ein weiteres Zwei-Tastatur-Klavier steht in Norddeutschland, auf Gut Hasselburg. Es gehört dem Ehepaar Heikedine Körting und Andreas Beurmann, die eine Sammlung historischer Musikins-trumente aufgebaut haben, welche grossenteils im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen ist. Das Duplex-Klavier behielten sie. Zusammen mit dem Pianisten Florian Uhlig am Douplex Coupler Grand Piano hat David Stromberg bereits Konzerte im Herrenhaus gegeben und initiierte eine Konzertreihe. Er nahm mit Uhlig die weltweit erste CD mit dem Duplex-Piano auf. Nun plant Stromberg ab 2023 auch ein jährliches Festival. Auf Gut Hasselburg sollen Emánuel Moórs Duplex-Klavier- Kompositionen wieder erklingen.

Katja Behling