Der Hamburger David Stromberg verhilft dem Duplex Coupler Grand Piano zu neuem Ruhm. Was den Flügel so besonders macht.
Hamburg. Es liegt nicht an der falschen Brille und auch nicht am übermäßigen Genuss geistiger Getränke: Dieser Flügel hat wirklich zwei Tastaturen anstatt einer. Die zweite, hintere liegt ein wenig höher. Von der Seite betrachtet, ist der vordere Teil des Flügels etwas ausladender als gewöhnlich. Ansonsten präsentiert er sich mit dem gattungstypischen Selbstbewusstsein: lackschwarz und dreibeinig steht er da, auf der Innenseite des Klavierdeckels prangt in Frakturschrift der Name „Bösendorfer“. Allerfeinste Klavierbaueradresse.
The Duplex Coupler Grand Piano nennt sich das wundersame Instrument. Am 28. September ist es bei einem Kammerkonzert im Kleinen Saal der Elbphilharmonie
zu hören. Auf dem Programm stehen Werke von Camille Saint-Saëns, Claude
Debussy, Arnold Schönberg und Emanuel Moór, den Klavierpart übernimmt
Florian Uhlig. Bis zum 27. September ist das
Bösendorfer-Exemplar in der Sammlung Beurmann im Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen.
Konzert Hamburg: Flügel ist ein Kuriosum
Dass ein Instrument zwei Manuale hat, kennt man von Orgeln und Cembali. Ein Flügel mit zwei Manualen aber ist ein Kuriosum. Die Töne der hinteren Tastatur liegen eine Oktave höher, was dem Spieler extreme Sprünge erleichtern kann. Vor allem aber lassen sich beide Manuale mit einem Pedal koppeln. Schlägt man dann auf dem unteren Manual einen Ton an, klingt die höhere Oktave automatisch mit.
Kaum jemand weiß heute von diesem Instrument und schon gar nichts von der glanzvollen Karriere, die es in den 1920er-Jahren machte. Bedeutende Dirigenten und Orchestern haben mit ihm konzertiert, darunter die Wiener Philharmoniker unter Bruno Walter, das Concertgebouw Orchestra und auch das Philharmonische Staatsorchester Hamburg. Bruno Walter bescheinigte dem Flügel eine „nie für möglich gehaltene Fülle des Klangs, die durch die Kopplung und die Oktavierungen entsteht“, und zeigte sich tief beeindruckt von den technischen Neuerungen.
Stromberg verhalf Duplex zu neuem Ruhm
„Das Duplex sollte das Klavier der Zukunft werden“, sagt David Stromberg. Wenn jemand das Instrument beim Vornamen nennen darf, dann wohl er. Stromberg hat sich dessen dramatischer Geschichte mit Haut und Haar verschrieben. Dass er, selbst Konzertcellist und kein Pianist, sie entdeckte, war ein Zufall. Mit der großen Zukunft des Duplex war es zu Beginn der 30er-Jahre nämlich schon vorbei, es fiel dem Vergessen anheim. Viele Jahrzehnte später stieß Stromberg bei der Suche nach Celloliteratur auf den Komponisten Emanuel Moór – den Komponisten, dessen Cellosonate er am 28. September spielen wird. Und stellte fest: Dieser Moór war nicht nur Komponist gewesen, er hatte auch einen nie dagewesenen Flügel entwickelt.
Manche Schicksale bieten eben Stoff für mehrere Leben. Der Ungar Moór, Jahrgang 1863, war Pianist und heiratete die Tochter eines amerikanischen Whiskey-Importeurs. Materielle Sorgen scheint das Paar nicht gekannt zu haben, man lebte jahrelang in Schweizer Luxushotels. Die Crème der europäischen Musiker spielte Moórs Werke, deren melodienreiche, harmonisch vielfältige Tonsprache noch ganz der Spätromantik verhaftet war.
„Bösendorfer ist zuletzt eingestiegen“
Doch nach dem Ersten Weltkrieg hörte Moór auf zu komponieren. Ob es daran lag, dass er und seine Frau zwei Kinder kurz nach der Geburt und einen Ziehsohn im Krieg verloren hatten, ist nicht gewiss. Was wir aber wissen: Moór wurde Erfinder und war auf diesem Gebiet offenbar genauso begabt wie als Komponist.
Um den Prototypen für seine Entwicklung zu bauen, zersägte er mit zwei Tischlern kurzerhand einen Flügel. Ein Klavierbauunternehmen nach dem anderen band er in das Projekt ein, alle Erfahrungen nahm er mit und verfeinerte das Modell immer weiter. Pleyel, Bechstein, Steinway, Bösendorfer, sie alle haben Duplex-Modelle gebaut. „Bösendorfer ist zuletzt eingestiegen“, erzählt Stromberg, „ihre Modelle gehören zu den ausgereiftesten.“
Flügel bietet neue Möglichkeiten
Der üppige, silbrige Klang und die neuartigen Möglichkeiten des
Instruments fanden Anklang. Werner von Siemens, selbst Erfinder, ließ
sich von Steinway einen Flügel bauen, der lange in der Berliner
Siemens-Villa stand. Die Pianistin
Winifred Christie, Moórs zweite
Frau, verlegte sich ganz auf das Duplex und debütierte mit ihm in der
Carnegie Hall. Und ihr Kollege Alfred Cortot richtete für das Instrument
eine eigene Klavierklasse ein.
Das war auch sinnvoll. Denn der Spieler muss nicht nur grifftechnisch den Weg zur zweiten Tastatur finden. Wenn man das Kopplungspedal tritt und die beiden Manuale zusammenschaltet, erhöht sich auch der Widerstand der Tasten beim Herunterdrücken. „Man muss unglaublich zulangen. Die Mechanik ist im gekoppelten Zustand sehr viel schwerer“, sagt der Pianist Florian Uhlig. Er hat sich sofort darauf eingelassen, mit dem Instrument zu konzertieren: „Es juckte mich in den Fingern, die Hände auf zwei Manualen zu haben. Ich wollte wissen, wie klingt das überhaupt?“ Seine Mühen mit der Kopplung hat der Flügel reich belohnt: „Es klingt dann ganz anders. Als würde man vierhändig spielen. Die Klangfülle und die Ausdifferenzierung sind bahnbrechend.“
Duplex konnte sich nicht durchsetzen
Der Tastenwiderstand mag ein Grund dafür gewesen sein, dass das Duplex sich nicht durchsetzen konnte. Ein anderer: Moór war Jude. Er starb 1931, gleichsam am Vorabend der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Dass Moórs Stern posthum sank, erklärt sich David Stromberg aber auch mit der gewandelten Ästhetik: „Nach dem Krieg wollte man es leichter haben, sachlicher, wie wir das auch aus der Architektur kennen. Dafür war der Klang des Duplex vielleicht zu schwer.“
Womöglich mussten einige Jahrzehnte verstreichen, womöglich musste erst eine Bewegung wie die historische Aufführungspraxis das Bewusstsein für den Reiz klanglicher Vielgestaltigkeit wecken. Womöglich hat Stromberg seine Entdeckung im rechten Moment gemacht.
Konzert Hamburg: Moór soll Anerkennung erhalten
Er hat das Bösendorfer-Exemplar ausfindig gemacht und Mittel für die Restaurierung aufgetrieben, er hat hoch angesehene Musikerkollegen für seine „Emanuel Moór Konzertreihe“ gewonnen und eine ganze Phalanx an Förderern, allen voran die Henrik und Emanuel Moor Stiftung und die Hans Brökel Stiftung.
Die Ideen gehen ihm nicht aus. Im Oktober steht eine Radioaufnahme mit Orchester an, und für die weitere Zukunft träumt er von einem ganzen Moór-Festival. Als späte Anerkennung für einen begnadeten Komponisten und Konstrukteur, dessen Lebenswerk viel zu lange im Schatten gestanden hat.
Emanuel Moór Konzertreihe Mi 28.9., 19.30, Elbphilharmonie (Kleiner Saal), Tickets zu 19,- bis 47,- unter T. 44 02 98; weitere Infos unter www.duplexpiano.de